»SMSlingshot«
Kevin Yuen-Kit Lo im GesprÀch mit VR/Urban
Könnt ihr uns eure Idee und die konzeptionellen Überlegungen eurer Arbeit im Bezug auf das Profil des Festivals darlegen?
SMSlingshot entstand in Anlehnung an die Performance Spreadgun aus dem Jahr 2008 und versteht sich eine Erweiterung des Aktivismus durch digitale Intervention. Im Mittelpunkt der Installation steht eine digitale »Steinschleuder«, mit der man Informationen auf öffentliche Bildschirme werfen kann.
Wie würdet ihr eure Herangehensweise an Kommunikation beschreiben?
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung kommerzieller Interessen, die öffentliche Plätze mit ihren Werbeflächen zupflastern, schien es dringend notwendig, Vorrichtungen für Interventionen zu entwickeln. Wir versuchen auch das uralte Verlangen aufrechtzuerhalten, den umgebenden Raum zu kommentieren – also tags zu hinterlassen. Unser Ziel ist es, den städtischen Raum zurückzuerobern und den Bewohnern ein Instrument in die Hand zu geben, mit dem sie öffentliche Leinwände für sich beanspruchen können. Die Leute sollen nicht in der Rolle passiver Zuschauer verbleiben, sondern sich des Privilegs und der nötigen Werkzeuge bedienen, um ihren eigenen (multimedialen) Inhalte auf den Straßen verbreiten zu können. Die Medienfassaden sprießen wie Pilze aus dem Boden; LED-Wände und riesige Projektionsflächen sind interessante und wertvolle technologische Entwicklungen, aber im Gegensatz zu altmodischen Plakaten ist es beinah unmöglich, eigene Inhalte für diese Flächen zu schaffen oder eigene Videos auf sie zu projizieren.
Was gewinnt die Gesellschaft durch eure Kommunikationsstrategie?
Wie sind der Meinung und haben auch die Erfahrung gemacht, dass SMSlingshot die Art beeinflusst, in der Menschen mit Bildern im Stadtraum umgehen. Als wir unsere Installation Spreadgun (2008) betrachteten – eine Kanone, die Botschaften auf öffentliche Wände projizierte – hatten wir das Gefühl, dass es diesem Modus der »Hinter-dem-Computer bildschirm«-Kommunikation an Wahrhaftigkeit fehlt. Aus dieser Position heraus kann man verletzende und abstruse Dinge schreiben und sich hinter Avataren und Spitznamen verstecken. Manchmal ist das auch in Ordnung, aber oft ist das Ergebnis ein wenig erschreckend. Also haben wir uns auf die Kommunikationsform mit 140 Zeichen zurückbesonnen, wie man sie auch von twitter kennt, und haben sie zurück auf die Straße gebracht. Daraus ergab sich eine andere Kommunikationsweise. Die Leute konnten durch den Austausch von Kurznachrichten in Kontakt kommen, so war die gesamte Kommunikation echter und soziale Normen des städtischen Zusammenlebens wurden respektiert. Es gibt in unserem Programm keinerlei automatische Zensur. Die Anwesenheit anderer, der soziale Rahmen der Interaktion vor dem Bildschirm regelte alles von selbst. Es wurden weder Werbung, noch dumme Witze (sondern scharfsinnige) oder unangemessene Parolen laut. Alles war auf spielerische Art ernsthaft. Es ändert viel, wenn man die Identität des Senders wieder an räumlich anwesende Personen koppelt. Ein anderer wichtiger Punkt ist, wenn ausschließlich vermittelte Kommunikation (über getippte Botschaften) zu lange dauert. Ein Vieraugengespräch ist viel persönlicher und effizienter. Also ließen wir die Menschen mit einander reden, was deshalb klappte, weil sie vor den Bildschirmen stehend ein projiziertes Statement verfolgen und diskutieren konnten. Das ist immer der spannendste Teil des Ganzen. Om Einhoven haben wir beispielsweise das Gesicht dieses rassistischen Idioten Geert Wilders in den Hintergrund projiziert und die Leute begannen ihm die Meinung »zu sagen« und ihre politischen Sichtweisen mitzuteilen. Aber nicht nur die Person, die eine Nachricht an die Wand warf, sondern auch unbeteiligte Zuschauer begannen darüber zu diskutieren. Auf diese Weise schaffen wir einen Kanal für One-to-many-Kommunikation für die Leute auf der Straße – und darin besteht der Unterschied.
Was habt ihr persönlich aus der Entwicklung eures eingereichten Beitrags gelernt?
Wir haben gelernt, dass es länger als gedacht dauern kann, eine Nachricht zu verfassen. Wir haben gelernt, dass Batterien einfrieren und schwächer werden, wenn die Temperatur unter den Gefrierpunkt fällt. Wir haben gelernt, dass uns die Interaktion mit dem städtischen Raum vor Herausforderungen stellt, weil es keine klar festgelegten Gesprächspartner oder Zielgruppen gibt. Wir haben wieder gelernt, dass das Team selbst der Chef ist. Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, richtig verstanden zu werden. So viele Marketingagenturen haben das versucht, weil sie dachten es wäre der perfekte Weg, um Guerillamarketing zu betreiben. Aber ganz offensichtlich haben sie sich verschätzt. Und es gibt noch eine Menge anderer Einsichten, die wir gerade noch in Gesprächen und im Diskurs durchdenken möchten.
Warum ist eure Arbeit eine GUTE kommunikative ARBEIT?
SMSlingshot ist eine »gute« kommunikative Arbeit, weil die physische Vorrichtung durch die greifbare Materialität und ihrer Mischung aus virtuellen und »realen« Elementen sehr zur Benutzung einlädt. Jeder möchte etwas mitteilen. Wenn man es richtig anstellt, merkt jeder Nutzer, dass er etwas zu sagen hat. Es ist auch ein sehr natürlich wirkendes Interface, dass starke Metaphern wachruft, die leicht zu »lesen« und noch leichter zu verfolgen, zu erfahren und neu zu erschaffen sind. Und ganz offensichtlich ist die Arbeit gut, weil das schon viele Leute behauptet haben.
Wo und wie wollt ihr eure Arbeit präsentieren?
Am liebsten würden wir eine Intervention auf der Bürogebäudefassade einer Boulevardzeitung vornehmen, sodass die Leute eine Chance hätten, diesen Lügnern zu sagen, dass sie sich mit etwas Seriöserem beschäftigen sollten. Wir haben die Vorstellung, die Seite 1 des jeweiligen Tages an die Wand zu werfen und kommentieren zu lassen. Wir haben auch vor, eine Open-Source-Variante online zur Verfügung zu stellen. So kann sich dann jeder seine eigene SMSlingshot bauen.
http://www.vrurban.org
Die SMSlingshot von VR/URBAN kann am 9. November 17-19 Uhr vorm The Spot sowie am 15. November ab 21 Uhr vorm Festspielhaus Hellerau geschleudert werden.
Tags: 2012, cynetart2012