Intention des Stückes »SLUMP DANCE«


Von Adolphe Appia zum Slump Dance im A.P.P.I.A. Lab_1.1

Die Vorstellung Adolphe Appias, dass der Raum lebendig wird, wenn ihn menschliche Körper betreten, bildet den zentralen Ausgangspunkt aller Projekte im A.P.P.I.A.Llab_1.1 wie auch der Performance-Installation Slump Dance. Dies nicht im Sinne einer den Körpern Widerstände entgegensetzenden physisch-skulpturalen Anordnung von schiefen Ebenen oder Treppen. Die „Widerstände“ im A.P.P.I.A.Llab_1.1 bestehen aus virtuell existierenden Klang- und Bildumgebungen, die abhängig von Parametern der körperlichen Bewegung (Position im Raum, Dynamik, Ausdehnung) erst ihre sinnlich wahrnehmbare Realisierung finden. Die Körper beleben auf dieser neuen technischen Ebene tatsächlich die Räume, welche ohne ihre Anwesenheit als Klang- und Bildpotenzial lediglich virtuell existieren, also nicht sinnlich real.
Den „Widerstand“, welchen Appias „Bühnenskulpturen“ dem Körper physisch entgegensetzten um die vitale Ausdruckskraft der „Darsteller“ entgegen den herrschenden Konventionen herauszufordern, bildet nunmehr die „Anstrengung“ zur „Übersetzung“ des virtuellen Potenzials innerhalb der physischen Körperbewegung selbst. D.h. die virtuellen Bild- und Klang-„Architekturen“ wollen von der Bewegung entdeckt, erfahren, anverwandelt, ja geradezu erst re-komponiert werden. Bewegung wird Klang und Klang wird Bewegung. Bewegung wird Bild und Bild wird Bewegung – Realisierung des Virtuellen in Form seines sinnlichen Prozessierens. Die Wahrnehmung des praktisch im Real-Time-Processing nicht ausgedehnten, nur geistig re-präsent werdenden Raumes zwischen Körperbewegung und Klangbewegung bzw. Bildbewegung ist der Widerstand, der im Prozess der physischen Bewegung des Virtuellen realisiert werden soll. Hieraus resultiert im besten Falle eine medientechnisch basierte Ästhetik der doppelten (Selbst-)Wahrnehmung von Bewegung, respektive „Tanz“ als Klang bzw. als Bild ganz im Sinne von Heinz von Foerster’s „Wahrnehmung der Wahrnehmung“. (Vgl. dazu auch die Begriffe des „blinden Flecks“, des „Presencings“ sowie des „doppelten Selbst“ bei C. Otto Scharmer: Theorie U – Von der Zukunft her führen, Heidelberg 2009) Genau an der gespürten Differenz – quasi die schiefe Ebene Appias im Gegensatz zum ebenen Boden – zwischen physischer Bewegung und bewegter virtueller Klangumgebung kann das Performative als präsenter Prozess auf neue Weise nach Innen und Außen wahrgenommen werden.

Intention des StĂĽckes

Vor diesem Hintergrund untersucht Slump Dance unterschiedliche Muster der körperlichen Bewegungs-, Performance- und Tanzkulturen im Sinne einer Art Inventur oder Rekonstruktion von möglichen Bewegungsintentionen bzw. Tanz-Inventaren. Dies geschieht innerhalb einer räumlich und technisch sehr strukturierten „Laboranordnung“. Dabei sollen über durchaus ironisch gemeinte Brüche, Verschiebungen und Überlagerungen Verdrehmomente zwischen Stilen, Ausdrucksformen, Kulturen und Idolbildungen auch im Sinne eines Cross-Over von emotionalen Bewegungsmustern aufscheinen. Ganz in diesem Sinne bilden unterschiedlichste Musik- bzw. Klangkulturen die musikalische Basis und zugleich das Ausgangsmaterial für die elektronisch bewegten Körper-Klang-Sprachen. Auch das verwendete Bildmaterial auf der interaktiven grafischen Fläche außerhalb der Plateaus bildet ein Mutationsfeld von Symbolen, welche in einem Fall tausende von Jahren auseinander liegen, sich aber in Momenten der Wahrnehmungsgeschichte in ihrer Bedeutung extrem überlagern und verändern (antikes Sonnenradfries und Nazi-Hakenkreuz).
Die „ausgestellten“ Körper als Träger von Konventionen, Riten und Austragungsorte des „Ausdrucks“ zwischen Expressivität, tradierter und choreografischer Künstlichkeit kreisen um die schon 1911 gestellte Frage nach der historischen und sozialen Ortung dessen, was wir im heutigen Gegensatz zum tradierten Bühnentanz als Präsenz im Raum wahrnehmen können.
Die erstmals im Kontext interaktiver Klangumgebungen eingesetzte Lichtsteuerung ermöglicht neuartige dramaturgische und kompositorische Relationen und ermöglicht unterschiedliche Grade von Freiheiten bezüglich der Art und Weise der Interpretation bzw. Re-Komposition der Lichtsetzung bis in den performativen Akt hinein. So werden im zweiten Akt (Maschinen & Menschen) die Lichtimpulse linear mit den Bewegungen der Tänzerinnen verknüpft. In den anderen Teilen des Stückes beeinflussen vorprogrammierte Lichtszenen wiederum die „Dramaturgie“ der Körperbewegungen.

© Klaus Nicolai

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