LAG
LAG
Ulf Langheinrich schlug nach seiner universitären Laufbahn an den Hochschulen in Dresden, Leipzig und Kassel vorerst einen klassischen künstlerischen Weg ein. In den frühen neunziger Jahren begann er, sich dezidiert dem Bereich Medienkunst zu zuwe nden; gemeinsam mit Kurt Hentschläger gründete er das Projekt Granular Synthesis, das bis zum Jahr 2003 bestehen blieb und die Grenzen und das Miteinander von Performance-Kunst, elektronischer Musik und Installationen auslotet, experimentell verschiebt, neu bestimmt und ins rechte Licht rückt. Seit 2007 lebt und arbeitet Ulf Langheinrich in Accra, Ghana.
LAG steht in einer Reihe mit meinen früheren Arbeiten, die Codes der klassischen Malerei das BILD an der Wand als auch Codes des Films die Sequenz aufgreifen, in denen es um die Ambivalenz von Gesamtbild und Bildsequenz, von Zeit und Oberfläche geht – Fragestellungen, die auch in vielen meiner früheren statischen Bilder Malerei und Fotografie sichtbar waren.
Die Frage nach schlüssiger Aufhebung der Erlebnissituation des klassischen Tafelbildes im Environment instabiler elektronischer Medien ist für mich zugleich die Frage nach der Materialität der Projektionsoberfläche und der Realität des projizierten Bildes.
Letztendlich sind aber vor allem Überlegungen aus dem Sounddesign ausschlaggebend, etwa die Vorstellung einzelner Oszillatoren innerhalb einer klassischen Synthese-Architektur, die nur leicht gegeneinander verstimmt werden, um eine Schwebung zu erzeugen. Dadurch verschwimmt der Klang und entwickelt sich von einer punktförmigen Anmutungsqualität hin zu einer irisierenden Fläche. Während digitale Oszillatoren hier in der Regel mit wenig inspirierendem Pumpen aufwarten, sind analoge – also a priori im Drift befindliche – Oszillatoren in der Lage, schon bei zwei gegeneinander verstimmten Wellenformen reiche und elegant schwebende Flächen zu erzeugen.
Die vier Bildtafeln von MODELL 5, einer Arbeit GRANULAR SYNTHESIS, stehen für genau diese Multifunktion: Bildtafel, Gleichzeitigkeit einer sequenziellen Abfolge, Oszillator Stimme.
Bei WAVEFORM A , einem Auftrag des Australien Centre für the Moving Image (ACMI) in Melbourne, sind Wellen, die in Accra gefilmt wurden, das Ausgangsmaterial. Diese mit Stativ aufgenommenen Sequenzen im Hochformat sind mit X/Y-Transition auf der Zeitebene neu organisiert – und die so entstandene Ambivalenz in der Behauptung einer Realitätsabbildung mit einem vertikal über die Bildfläche ziehenden Feld aus horizontalen Streifen verknüpft worden.
Sowohl die Teilebenen innerhalb eines Bildes als auch die Sequenzen auf den vier Bildtafeln verschieben und re-synchronisieren sich permanent. Am Ende versteift sich der gesamte Bildfluss dramatisch und erstarrt schließlich in einem digital-strikten Loop. Auch die Bildqualität verändert sich ausgehend von einem fein durchgezeichneten roten Glühen in Richtung harter Schwarz-Weiß-Kontraste.
SOIL basiert auf Found Footage, einigen Filmen, die zu jener Zeit auf meiner Harddisk herumlagen. Das Bildmaterial ist von diesen Filmsequenzen abgeleitet, aber lediglich herausdestillierte Vertikalbewegungen der zu horizontalen Streifen gefilterten Bildobjekte bleiben übrig und imponieren als vertikal driftende Zonen in einem weitgehend blauen Farbraum. Dabei driftet das Material auch zwischen den vier Bildtafeln, bleibt aber ein konsistentes Ganzes innerhalb der Hermetik eines Vier-Tafel-Bildes. Das ursprüngliche Bildmaterial wird in Aspekten aufgehoben/gewahrt, aber seine eigentliche Bedeutung wird aufgehoben/ist verschwunden.
Der Soundtrack ist eine synästhetische Behauptung, insofern ich allen Aspekten mir richtig erschienene akustische Entsprechungen intuitiv zugeordnet habe. Die durch den auch akustischen Drift zwischen den vier Bildtafeln entstehenden Schwebungen sind bereits beschrieben worden.
In LAG imponiert zunächst jene algorithmisch generierte Substanz , welche seit geraumer Zeit meine Arbeiten infiziert zu haben scheint: ein semi-opakes Partikelsystem. Es präsentiert sich dem Betrachter als Rauschfeld, das durch Parameter wie Konsistenz, Spannung, Dichte und Beweglichkeit gekennzeichnet ist.
Darin eingebettet erscheint das cinemascopisch breite Panorama einer afrikanischen Menschenansammlung verteilt auf vier Einzelfelder – ein fernes Bild.
Die Details der zunächst scharfen und hyperrealistischen digitalen Sequenzen werden weitgehend aufgelöst und stattdessen mit dem scharf und deutlich gezeichneten animierten Rauschfeld verknüpft, wodurch sie wie von dem digitalen Partikelsystem besiedelt erscheinen. Die extreme Zeitlupe ursprünglich durchaus zügiger Körperbewegungen reißt in den Bereichen, in denen sich etwas tut, signifikante Lücken in die Kontinuität des Bildflusses, die sich durch Überblendung der Ursprungsframes allein nicht überzeugend schließen lassen. Dies ist umso dramatischer, als die Ausgangsbilder auf der Zeitachse so weit auseinander liegen, dass die Erfassung schneller Bewegungen unmöglich ist und selbst weniger zügige Bewegungen sind eigentlich nicht zu rekonstruieren.
Anstatt zwischen den Einzelframes dennoch irgendwie zu überblenden, suchen und erfinden die hier angewandten Vektorbasierenden Morph-Effekte Übergänge und verflüssigen als Nebenwirkung damit das gesamte Bild, ein Effekt, der durch das zuvor eingerechnete Rauschen deutlich verstärkt, ja eklatant sichtbar wird. Wenn also die Bildsequenz extrem gedehnt wird, greifen die für g u t e Zeitlupe optimierten Algorithmen so tief in das Material ein, dass sie das Bildkontinuum eigentlich neu erfinden. Denn wie ein permanenter Drift (!) werden nun alle, auch die ursprünglich statischen Bildinhalte, mit den Rauschkörnchen, die sie besiedelt haben, als Teil des als Vektorsystem aufgefassten Gesamtsubstrats verschoben und verzogen.
Damit sind die menschlichen Bewegungen, wenn auch selbst geisterhaft langsam, Animator von Reorganisationsbewegungen im Bildraum.
Ursprünglich designt zur überzeugenden Rekonstruktion der zu vermutenden Wirklichkeit zwischen Zeitsegmenten gute Zeitlupe, sind die Software-Interventionen überfordert. Überzeugen können sie dennoch, als Mittel zur Erfindung eines fremdartigen Bildflusses und zur Behauptung von Realität im Sinne der auf Lese-Erfahrung basierenden Dekodierung virtueller Bildräume. Den Widerspruch zwischen der Wahrnehmung räumlicher Tiefe im stereoskopischen Bildraum als wesentliches Moment sinnfälliger Behauptung der Wirklichkeit dieses Raumes mit seinen darin operierenden Alter Egos und der Abwesenheit anderer wesentlicher Aspekte wie Schärfe, Farbe und Konsistenz, erlebt der Betrachter als Mangel, und zwar anders, als er das bei einem zweidimensionalen Abbild empfinden würde. Das Gesehene ist unwirklich.
Lediglich ein durch den Bildraum wandernder Laser-Strich verweist auf das, was wir sehen: einen Bildschirm, denn an der Membran des Bildschirms wird das Licht als scharfe Linie reflektiert.
KONTEXT
Jedes in Afrika gecapturte Image ist für ein europäisches Auge per se exotisch. Mediale Inszenierung ist die einzige Realität und bestätigt ihre Sicht: Wilde Tiere deren Aussterben wir im IMAX-Kino gern beweinen, wilde Musik, schön starke, irgendwie für ihre physische und mentale Kraft bewunderte, für ihre Rückständigkeit und Kriege bemitleidete Afrikaner. Vom Dokumentarfilm wo ein guter Afrikaner am besten ein bisschen unter Dürre leidet und einen Suppenteller in der Unterlippe hat zur großen Fernseh-Weihnachtsspenden-Gala mehr Dürre bitte bis hin zum Internet-Porno Blacks on Blondes.
Letzter Spiegel-Bericht über Ghana: Kinderarbeit auf der Müllhalde. Man weiß hier in Accra auch von dieser Müllhalde, es ist der grausigste Ort der Stadt, Kofi Normalo war noch nie dort, wohin es deutsche Reporter magisch zieht.
Man stelle sich nur vor, es gäbe regelmäßig Berichte auf GTV aus Pflegeheimen und Legebatterien in Deutschland, der Ghanaer und alle Hühner Westafrikas würden sich mit Grausen wenden.
Wir sind in unseren Bildern von fremder Welt zu Hause, nämlich in der uns vertrauten Medieninszenierung der Welt der Bilder von Staunenden der westliche Kameramann für Staunende Terra X. Spätestens dann, wenn die unabwendbaren kehligen irischmongolisch-bulgarischen Gesänge romantisches Fremdeln verordnen -zuletzt gehört in Avatar, vertrauen wir den Bildern als Beleg für unsere Sicht der Welt, was wir so erfahren, wird Erfahrung.
Ein mit europäischem Auge gedrehter Film über Afrika wird sich in Afrika nur geringer Anhängerschaft erfreuen, auch wenn Hybride der Sicht – von der Europäischen Kommission bewerteteund mit europäischen Geldern unterstützte Filme – gern beim Filmfestival in Ouagadugou zur Aufführung gebracht werden Ouagadogou, von dem man in Deutschland als Witz von Peer Steinbrück gehört hat: Berlin =Ordnung, Ouagadougou = Wahnsinn. Ich finde die auch gut, kritisch, aufgeklärt . . . .
Danach mehr Festivals, in ein paar Goethe-Institute und zu ARTE. Ghanaer zum Beispiel sehen so etwas normalerweise nicht. Die sehen Akan-Drama , eine Art Ohnesorg-Theater als Sonntags-Tatort, und international am liebsten Nollywood: Kampf der immergleichen Sofa-Garnitur = christlich braver Mittelstand gegen billige Videotricks im Busch = unterentwickelter afrikanischer Voodoo-Zauber, gebrannt auf in jedem Haus irgendwo in der Nähe des TV-Sets als loser Haufen herumliegende und dadurch völlig zerkratzte DVDs. Die Kratzer, nur ein kleines Beispiel für die Ergebnisse des landesüblich wurschtigen Umgangs mit Ressourcen aller Art, bewirken, dass Filme ständig hängen bleiben und dabei mit allerlei Artefakten imponieren – neben gelegentlichen kurzen Stromaussetzern in der Leitung ein integraler Bestandteil des hiesigen Medienkonsums.
Ghanaer erkennen sich in ihren Filmen, in uns völlig überzeichnet erscheinender Mimik und Gestik denn so kommunizieren die Leute wirklich, in übersteuerten Dialogen und dazu einen bizarren Muzak, dessen symbolische Metafunktion als Sedativ (be calm, be civilized) dem Soundtrack in der Anstalt von Einer flog übers Kuckucksnest spricht für die Fachfrau: M1 und D50 Werksounds immer in Dur sind Pflichtprogramm.
Ruhe will sich dennoch nicht einstellen, denn alles pumpt wegen der auf Anschlag gedrehten Kompressoren irgendwo jenseits von 0 dB und das ist dann durchaus authentisches Lebensgefühl. Auf Anschlag gedreht sind auch die Verstärker und lokale Boxen haben etwa viermal mehr Hochtöner als die bei Conrad, auch dies ist integraler Bestandteil des acoustic-environment Designs des sich im Medienkonsum Zu-Hause-Fühlens. Eine besserwisserische Aufführung einer hiesigen Filmproduktion, über meine Studio-PA, führte zu Sprachverständlichkeitsproblemen und einem generellen Unbehagen darüber, dass irgendwas nicht stimme. Erst die Rückverkabelung in die in meinen Augen hoffnungslos übersteuerten Mini-Lautsprecher aus heimischer Manufaktur stellte das vertraute Klangbild her und es wurde wieder verstanden, was da in merkwürdig künstlichaltbackenem Englisch verhandelt wurde. Wozu braucht der Mensch da noch Glitch-Core?
Übrigens brach bei der Vorführung einiger Sequenzen solcher Filme im Rahmen einer Vorlesung über Sounddesign an der FH Salzburg in den Reihen ein vorher nie
erlebter Tsunami der Emotionen los, …. . . ohne Original-PA.
Diese Mediensprache ist dem Europäer, sogar dem intellektuellen, tatsächlich fremd so er nicht zufällig Medienethnologe ist.
Meine bis dato einzige Produktion, bei der in Ghana gedrehtes und als solches auch erkennbares Bildmaterial zum Einsatz kommt – SPINTEX – ein kurzer HD-Film in Co-Produktion mit Gina Carnetzki, ist in ihrer Bildsprache für die meisten Ghanaer so spannend wie Radiowellen vom Mond Europa. Das muss nicht erstaunen, Medienkunst läuft auch in Deutschland nicht um 20 Uhr auf RTL; um die Zeit nicht mal auf ARTE. In Ghana ist das ganze Land instabile media. Eine Medienkunstgalerie?
Für wen??
Dabei wird hier durchaus anerkannt, dass SPINTEX normale Menschen zeigt und nicht die Initiationsrituale irgendeiner Pygmäen-Truppe (Wir waren die ersten, die diese letzten, noch in ihrer Ursprünglichkeit…, denn solche Bilder sind in Ghana noch fremder als in Deutschland. Unsereiner sieht dauernd letzte Wale, Seeschildkröten, Eingeborene…
Wenn’ s exotisch sein soll, sehen Ghanaer Jackie Chan.
In SPINTEX sieht man eine Diskothek: gut aussehende Leute, Housemusik – Easy Living.
In LAG sieht man auch sich bewegende Menschen. Der einzige Grund, nicht das Gedränge der Wiener U-Bahn oder der Dresdener Einkaufspassage zu verwenden, ist die simple Tatsache, dass ich hier und eben nicht woanders bin. Dadurch weit weg von meinem Publikum zu sein, das ein Ghanaisches nicht ist, empfinde ich als irrelevant. Es geht in meinen Arbeiten ohnehin um Verlust, um das Versanden und Verschwinden fremder und fremder werdender Bilder, so ich denn überhaupt Bilder mit einer Kamera erzeuge.
Mein Ansatz ist auch hier: Das aufgenommene Material wird als Material behandelt, als Erfindung einer Medienmaschine und nicht als Aufbewahrung der Wirklichkeit vor der Linse. Anders als in der Erinnerung wird das Gewesene im Akte des Scanns tatsächlich vernichtet, noch so viele für immer eingescannte Bilder zeigen von der Wirklichkeit dessen, was war, gar nichts. Sie sind durchaus wirklich: als Zeugnis meines Blicks und meines Kamerasensors.
Es ist wie mit dem Blut für den Vampir. Unsterblich seine Trophäen austrinkend, wird er nicht lebendig.
Zum diesjährigen TonLagen Festival präsentiert Ulf Langheinrich »KU« – ein Konzert für Orgel und 3-D-stereoskopischen Film. festspielhaus hellerau 07. & 08. Oktober 2010 Beginn 20:00 Uhr Sein jüngstes Projekt LAG wird erstmals vom 11. bis 17. November 2010 zur CYNETART 2 0 1 0 im festspielhaus hellerau zu erleben sein.
LAG @CYNETart, November 2010. |
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