CYNETART - Review


Rezension von Stephan Franck
Stephan Franck

geb. 1980. Studium der Kunstgeschichte seit 2007 an der TU-Dresden, 2009 in Montpellier. Von Sept. 2010 bis 2011 Mitbetreiber der Off-Galerie Fischladen in der DD-Neustadt. Freier Kurator und Kunst- sowie Kulturhistoriker. Freier Mitarbeiter des Off-Centers in Leipzig. Textproduktionen für Künstler der HfbK-Dresden sowie HGB-Leipzig.
anti23@gmx.net

Die 16. Ausgabe des CYNETART-Festivals in Dresden zeigt sich wandlungs- und zukunftsfähig. Es beschreitet den Weg in den urbanen Raum und erneuert sich ganz nebenbei als kommunikative Plattform für digitale Kunst und Kultur.


Die Gründe für den Wandel liegen in der konzeptionellen sowie in der kuratorischen Neuausrichtung des Festivals, die zu einem erheblichen Qualitätszuwachs der CYNETART 2012 führten. Pop-Up City sowie ICAS City waren die wichtigen Programmpunkte, die von Hellerau dezentral in den Stadtteilen Neustadt und Friedrichstadt stattfanden. Die Ausweitung des Festivalprogramms auf innerstädtische Bereiche führte indes zu einer ausgewogenen und gut durchdachten Konzentration von Kunst und Performance im Festspielhaus Hellerau selbst. Künstler sowie Publikum konnten hierdurch in ein zeitgemäßes Verhältnis zueinander gesetzt und damit gleichermaßen gewürdigt werden.


Schon bevor man die heiligen Hallen des Festspielhauses Hellerau betrat, wurden die Besucher durch die Leichtigkeit der visuellen Inszenierung des Portikus’ im positiven Sinne vereinnahmt. Der Besucher wurde somit zuvorderst auf den Fokus der diesjährigen CYNETART, auf die Augmented Reality, welche die Abhängigkeit von Perzeption und Geschwindigkeit einer immateriellen oder digitalen Realität sowie deren Vordringen in das gesellschaftliche Leben beschreibt, aufmerksam gemacht.


Analog zu der illuminierten und auflockernd inszenierten Fassade wartete die Ausstellung des Festivals mit rezeptiven Inhalten auf. Kerstin Ergenzinger brachte mit ihrem Werk Rotes Rauschen diese Leichtigkeit im Umgang mit einem kybernetischen Resonanzkörper als Spiegelbild menschlichen Handelns, egal ob virtuell oder physisch gesehen, zum Ausdruck. Ähnlich dieser Ausdrucksweise zog E-ansa von Ricardo O’Nascimento das Zusammenspiel von hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung durch Mobiltelefone und Wind als Folge deren Interferenz in Betracht seiner Auseinandersetzung. Julius Stahl nutzte ebenfalls ein Frequenzspektrum für sein Werk. Er erzeugte mit seiner Installation Wellenfelder eine visuell erfahrbare, in den Betrachterraum nahezu hineinwachsende Klangästhetik. Sein ‚tönendes’ Bild funktionierte nicht wie traditionelle Bildmodi über Assoziation, sondern über kognitive Interaktion der Rezipienten selbst. Maja Smrekars kontroverse Arbeit hingegen (Hu. M. C. C. – HUMAN MOLECULAR COLONIZATION CAPACITY), diente der Künstlerin als Vehikel, um auf ein Szenario zukünftiger Nahrungsmittelknappheit aufmerksam zu machen, dessen Konsequenz es wäre menschliche Enzyme als Produktionsträger genießbarer Nahrungsmittel nutzbar zu machen. Eine weitere wichtige Arbeit innerhalb der CYNETART-Ausstellung, war das Environment von Nika Oblak & Primož Novak und ihrem Werk Sisyphus Actions. Die Installation zeigte eine anschauliche Allegorie der Selbstvergessenheit der Menschen in scheinbar nutzvollem Streben. Mensch, Mechanik und Elektronik verbinden sich in diesem Environment zu einer nie enden wollenden Utopie einer von Konsum propagierten Glückseligkeit.


Auch die audiovisuellen Performances der CYNETART machten das Medium an sich zum Thema zukünftiger Kommunikationsebenen. In diesem Kontext war auch die Deutschlandpremiere von Ulf Langheinrich und seinem Projekt Movement C zu sehen. In einem völlig abgedunkelten Raum war der Zuschauer mit einer Entgrenzung von Bild, Raum und einer Verweigerung der Präsentation von Körperlichkeit im klassischen Sinne konfrontiert. Einhergehend mit einem monumentalen Klangbild, welches die Momente stroboskopartiger Reflexion in ein noch intensiveres Rot tauchte, wurden die Sehgewohnheiten des Publikums auf die Probe gestellt. Gleich einem kosmischen Gravitationsfeld wurden die Körperformen der Performance ins zeitlich unendliche gedehnt. Bemerkenswert war, dass es sich bei dieser Präsentation eigentlich um die rhetorische Figur der Inversion handelte, die in diesem Zusammenhang eine Umkehrung des Verhältnisses des Betrachters zur (bewegten) Malerei einforderte. Nicht also das Publikum bewegte sich vor dem Bildmedium, sondern das Bildmedium über die ästhetische Grenze, (noch) mit dem Hilfsmittel einer 3D Brille, hinaus auf den Rezipienten zu – eine für den Besucher unerwartete Neubewertung des Bildmediums als traditioneller Informationsträger und eine Würdigung seiner selbst als Betrachter des Geschehens.


Die schon erwähnten Pop-Up City Veranstaltungsorte boten innerhalb und außerhalb von Clubs und Cafés die ideale Voraussetzung, um dem Publikum jedweden Aspekt sowie Kritikpunkte der Augmented Reality im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen. Beispielsweise konnten Passanten der Dresdner Neustadt mit der SMSlingshot, einer multimedialen Steinschleuder der Künstlergruppe VR/Urban, ohne Umstände den öffentlichen Raum, der sonst von Werbepropaganda durchzogen ist, zurückerobern.


Ebenso wie die freizugänglichen Aspekte der Augmented Reality des Festivals wurden die musikalischen Programmpunkte, welche das Festival traditionell rahmen von Hellerau in die Clubs der Dresdner Neustadt aufgeteilt. Das Bon Voyage und das Alte Wettbüro waren die ersten Adressen für das Clubbing sowie für das Programm der elektronischen Musik der CYNETART. Alexander Dorn bespielte mit seinem alias Credit 00 das Club-Café Bon Voyage. Gleichzeitig wurde vor Ort seine Ausstellung mit Fotomontagen im Rahmen der CYNETART eröffnet. Weitere Pop-Up Veranstaltungen befanden sich im Club 64 (Kazoosh! und Klangfiguren) sowie der Videoabend Panorama CYNETART in der Motorenhalle in der Dresdner Friedrichstadt.


Eine weitere wichtige Plattform für den Austausch über Musikkultur war das ICAS-Radio (ICAS für ein Festivalnetzwerk der International Cities of Advanced Sound). Getragen durch das ORF Ö1-Studio und in diesem Fall in Kooperation mit dem MDR, sendete das Festival über den Österreichischen Rundfunk und mittels Livestream aus dem Herzen der Neustadt an eine internationale Hörerschaft. Der Hörer bekam Informationen zum Festival und Ausschnitte der Geschichte der elektronischen als auch der zeitgenössischen Musik in Dresden, welche von sachkundigen Kennern und Protagonisten erzählt wurde.


Mit 50 nationalen und internationalen Künstlern hat das diesjährige CYNETART-Festival eine Wende geschaffen, die auf zukünftige Herausforderungen selbstreflexiv zu antworten weiß. Dabei spielte die Dezentralisierung unterschiedlicher Teilprojekte eine wesentliche Rolle für Qualität und Glaubwürdigkeit. Der Anspruch dem Festival „eine aktivistisch-aktive Entsprechung zu geben“, wie es im Katalog beschrieben ist, ist mittels der Umsetzung von Pop-Up City Dresden und ICAS City gelungen. Dies half auch die einzelnen Installationen, Environments und Performances in Hellerau noch stärker zu kontrastieren, da das Publikum mit den Grundlagen einer sich schnell veränderten Wahrnehmung der Medien in der Gesellschaft zuvorderst sensibilisiert worden ist. Ferner wurde ein Spannungsfeld geschaffen, das von digitaler und kybernetischer Ästhetik bis zu einer konstruktiven künstlerischen Kritik der immateriellen Realität oszillierte.


Die 16. Ausgabe der CYNETART hat sich als Plattform für Medienkunst, Wissenschaft und digitale Kultur auch für die Zukunft empfohlen. Denn von einem kulturellen- als auch ökonomischen Mehrwert kann für alle Beteiligten einschließlich der Stadt Dresden auch im nächsten Jahr wieder ausgegangen werden.


Stephan Franck, November 2012



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