Auf eine fritz-kola mit Thomas Dumke
Auf eine fritz-kola mit Thomas Dumke
Das Interview führte Nadja Voigt
Klappe, die zweite – erneut sitzen wir bei einer fritz-kola zusammen. In dieser Ausgabe gibt es allerdings eine solide Face-to-Face- Kommunikation. Thomas Dumke sitzt am Tisch in den Räumen der Trans-Media-Akademie Hellerau und spricht über Virilio, Club-Kultur und Hedonismus.
Nadja Voigt: Auf Deinem Schreibtisch habe ich vorhin ein Buch von Paul Virilio gesehen. Jener tauchte bereits im letzten Magazin einmal auf und scheint nach wie vor aktuell zu sein. Was meinst Du – arbeitet die Menschheit tatsächlich an ihrer Auslöschung seit sie durch neue Technologien die Kontrolle über Raum-Zeit-Gefüge hat?
Thomas Dumke: Von Kontrolle kann kaum die Rede sein. Vielleicht könnte man es den V er such nennen, die Kontrolle zu übernehmen, einer materiellen Welt eine virtuelle gleichrangig beizustellen und nach unseren Bedürfnissen zu gestalten. Ich glaube, wir – also wir als Menschheit – sind die Einzigen, die daran interessiert sind. Die Natur und alle Anderen kommen auch ohne uns ganz gut zurecht. Vielleicht sogar viel besser. Schritt für Schritt arbeiten wir an einer ständigen Transformation unserer Selbst. Wohin der Zug fährt? Keine Ahnung. Wir transformieren faktisch ständig unsere Bedingungen des Menschseins, das sollte uns bewusst sein. Nichts ist auf ewig beständig. Virilio meint, dass sich dieser Prozess mit der Integration jeder neueren Technologie – insbesondere des Internets – zunehmend schneller vollzieht und sich in der Folge auch der Bezug zu unserer materiellen Welt auflöst, die Überwindung von natürlichen Grenzen nicht in Frage steht und unser Körper hinfällig wird, weil er für eine virtuelle Dauererfahrung nicht geschaffen ist.
NV: Um auf den Punkt der Kontrolle zurück zukommen: Durch die Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, können wir zumindest damit spielen, herumprobieren, neue Felder auf spannen – bei den Tele-Plateaus, zum Beispiel, spielt der Hyperraum insofern eine interessante Rolle, als dass er zum Raum der Gleichzeitigkeit verschiedener Aktionen wird. In gewisser Weise – so finde ich – kann man vor diesem Hintergrund also auch von einer Form von Kontrolle sprechen!
TD: Das weiß ich nicht. Der Hyperraum selbst ist lediglich die Modellierung einer speziellen Form von Wahrnehmung: eben der virtuellen Begegnung. Es ergibt sich die Möglichkeit des Sich-Treffens auf einer eher mentalen Ebene, die individuell bestimmt auch sehr körperlich werden kann. Je nach dem, was Jeder zulässt. Nur weil wir wissen, dass eine Kamera uns beobachtet, um unsere Bewegungen zu analysieren, denken wir gleich wieder an Kontrolle und das Auge Gottes, also die Souveränität einer Macht. Kontrolle erlebe und spüre ich nicht beim Eintritt in einen derartig gestalteten Hyperspace wie bei den Tele-Plateaus!
NV: Sicherlich ist das natürlich etwas hochgradig Subjektives. Etwas ganz anderes, das mich schon länger interessiert: Wie und wann bi st Du eigentlich zur TMA gestoßen?
TD: Also damals gab es die TMA Hellerau noch gar nicht. Irgendwann, im Frühjahr ’99, blinkte mir ein Praktikantengesuch des COMTECart-Büros entgegen, und ich dachte: Ja, los geht’s! Soll ich mit dem Erzählen loslegen?
NV: Aber gern doch!
TD: Meine ersten Computererfahrungen machte ich im Informatik-Unterricht und zu Hause mit dem Flugsimulator meines ATARI-Rechners. Alles war viel zu abstrakt, zu mathematisch und technisch operativ aufgeladen. Erst meine Begeisterung für elektronische Musik und die Erfahrung der Techno-Kultur in den Clubs von Dresden und Berlin ebneten mir einen Weg zum Verständnis von »techno-visionären Synästhesien« und den Ideen einer medial vernetzten Welt . Gerade in der Techno-Bewegung der Neunzigerjahre wurden die Effekte und Transformationen der elektronischen Medien gelebt, war der sogenannte Cyber-Euphorismus ausgeprägt und wurde mit all seinen Utopien wohl am stärksten reflektiert. Außerhalb der etablierten Kunstszene prägten Veranstaltungen wie die »Chromapark« im Berliner Club E-Werk (1996) oder die damalige Magazinkultur meine Vorstellung von dem, was mit den alten wie neuen Medien in Zukunft alles machbar sein sollte und wie sich gerade durch Medien aller Art
unsere Wahrnehmung beeinflussen und die Körpererfahrung intensivieren sollte.
NV: Was passierte da?
TD: Nun, ich hatte meine ersten Kontakte mit den Veranstaltern des ersten Dresdner Medienkunstfestivals COMTECart (nunmehr CYNETART), Dorothea Hunziker und Klaus Nicolai, beziehungsweise nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle die Dresdner Performance-Gruppe RU-IN. Einige Monate später stieß Matthias Härtig hinzu. Über mein damaliges Praktikum hinaus vertiefte die Begegnung mit den international vertretenen KünstlerInnen des Festivals mein Interesse für die Auswirkungen und Entwicklungen der neuen Medien in Kunst und Gesellschaft. Im Zuge der Konzeption und Gründung der Trans-Media-Akademie in Hellerau (2001) profilierte sich ein Ansatz der künstlerischen Praxis und Forschung mittels Virtueller Environments. Die Auseinandersetzung mit diesem neuen Medium sollte die inhaltliche Arbeit mittels speziell angelegter Workshops und der Austragung des CYNETART-Festivals bis heute fortführen und befördern.
NV: Reden wir über Musik und Club-Kultur, d enn das ist ja auch etwas, das Dich umtreibt. In der akt uellen Ausgabe des CYNETART MAGAZINS sprechen die Jungs vom neuen Dresdner Label »Uncanny Valley« über Clubeuphorie, After Hours und das ganze Drumherum. Wie sieht für Dich schönes Feiern aus? Möchtest Du einfach zu guter Musik abzappeln können, oder ist das etwas Kollektiv es, das stark vom Publikum abhängt und bei dem ein Funke überspringt? In London und anderswo feiert man ja inzwischen seit einiger Zeit sogar solo mit den Ohrstöpseln des iPod nebeneinander.
TD: Ja, Musikfestivals – nicht nur der elektronischen Tanzmusik – haben in den letzten Jahren einen wahren Zustrom gefunden. Schaut man sich typische Festivals für Musik heute an, wie sie im Sommer jedes Wochenende auf großen Freilandflächen mit immer steigender Beliebtheit zelebriert werden, wird der vermeintliche Wunsch nach Ausständen und Exzess bedient. Elias Canettis Massenpsychologie in »Masse und Macht« beschreibt jenen Moment des Verlustes der Angst vor der Berührung der Menschen. Einzig in der Masse verliere der Mensch seine Angst vor der Berührung. Das Individuum könne den Verlust seiner Individualität als befreiend empfinden. Der Rückzug in flüchtige Glücksmomente in die Masse mit Musik. Die Leute suchen faktisch nach dem Sog der Masse und dem authentischen Erlebnis. Da vollzieht sich die Autostimulation. Sei es in der kleinen intimen Gruppe oder im Schwarm. Schönes Feiern für mich heißt »Automatic Clubbing.« Es gilt, dem verstärkten Körperbezug und einem partizipatorischen Bedürfnis an der Gestaltung der Musik, dem Zusammenspiel zwischen Publikum und Musiker beziehungsweise Grafiker entgegenzukommen. Matthias Härtig und Jacob Korn haben das mit ihrer interaktiven Tanzfläche auf Grundlage des interaktiven Videosystems » Kalypso« von Frieder Weiß bei der CYNETART bereits mehrmals ausgeführt. Im Sinne eines Netzwerkes werden steuerbare Effektparameter der Musik angeboten. Visuelle Konturen, Schatten sowie grafische Treffpunkte bilden die Spielwiese der TänzerInnen auf der Tanzfläche. Und zu Deiner anderen Anmerkung: Hm, ich versuche gerade, mir London bildlich vorzustellen. Sieht bestimmt toll aus. Rhythmisch zuckende Menschen ohne Außenlärm. Die hören alle das Gleiche? Oder sind die wenigstens vernetzt untereinander? Hat ihre nach Außen hin sichtbare In-Sich-Geschlossenheit wenigstens eine Verbindung untereinander, außer dass alle den gleichen Sound hören? Also, wenn nicht wenigstens deren iPod im vernetzten Shake-Control-Modus aktiviert ist, finde ich es allein über das rein visuelle Empfinden recht langweilig.
NV: Ich denke, jeder hört dort seine eigene Musik , habe aber auch schon von Leuten erfahren, dass es inzwischen Parties gibt, bei denen alle iPods weitergereicht werden.
TD: Ich weiß nicht, was da technisch schon möglich ist. Atau Tanaka (ein in Newcastle arbeitender japanisch-amerikanischer Medienkünstler und Musiker, Anmerkung der Redaktion) habe ich neulich mit seinem Kollegen Adam in einer Art Thai-Chi-Bewegung verharrend und vier iPods haltend Musizieren sehen. Das ist aber noch recht unsexy. Body-Generated Sound Control – das erscheint mir als eine spannen de Entwicklung, auch wenn es nicht unbedingt neu ist. Menschen haben schon immer mit ihrem Körper und den Dingen, die daran hingen, Musik gemacht. Heute sind das eben Sensoren. Ich meine, wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht in einem Denken in Ursache-Wirkungs-Schemata verhaftet bleiben, aber davon einmal abgesehen . . . – Sprich: Ich merke gerade selbst im Suchen nach einer passenden Beurteilung Deines London-Beispiels , wie ich abwäge. Hat das Kick-Qualitäten, oder ist es einfach wieder ein neuer Trend in unserem Alltag, der insofern unserer gesteigerten hedonischen Attitüde einfach noch Eines draufsetzt? Das hat sich schon sehr eingefräst. Hedonismus in Form von körperlicher Interaktion mit Virtualität bindet Medienkunst systematisch in die Pop-Kultur ein.
NV: Kannst Du das noch genauer erläutern?
TD: Die körperliche Interaktion – egal ob mit sensitiven Umgebungen oder anderen Menschen – ist hedonisch geregelt durch Autostimulation: Physiound, Psychotechniken, selbstbezügliches Training – unsere mentalen und physischen Übungsverfahren bauen also Hüllen um uns. Verzeih mir diesen kleinen Ausflug: Zum letzten Club Transmediale Festival habe ich Jacob Kirkegaards »Sabulation« erleben können. Die AV-Performance behandelt das akustische Phänomen singenden Sandes, wobei die Summierung von Einzeltönen der von Dünen abrutschenden Sandkörner auf einer bestimmten Frequenz einen gewaltigen Ton ergibt. Die Videoaufnahmen fand ich zum Teil sehr ansprechend. Die vergrößerte Aufnahme und Wiedergabe von immer wieder abrutschenden Sandkörnern ergab eine teilweise amorphe, fließende und komplexe Struktur. Warum beschäftigen wir uns gerade so intensiv mit sich auflösenden Strukturen – siehe auch Emmerichs »2012«? Immer wieder verlieren die Menschen in diesem Film den Boden unter ihren Füßen. Die Welt ist im Fluss. Einzelne Strukturen halten länger durch. Rundherum ist jedoch schon alles im fließenden Zustand, bis auch sie darin aufgehen. Und immer wieder von vorn, zeitlich parallel – ein Fluss beeinflusst den anderen, größere Strömungen schlucken einfach viele kleinere. Übertragen auf Dein Selbstbild, auf Deine Identität: Dein eigenes Leben zerbricht genauso wie die Welt um Dich herum in einzelne Stücke, auch wenn Du glaubst, in Deiner eigenen Hülle in der besten aller Welten zu leben – das ist eine sehr spannende Sache.
NV: Ich danke Dir für das Gespräch!
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