Konstituierende Leiblichkeit als didaktisches Prinzip
Projektskizze
Was geht in 11-13-Jährigen in Berlin-Marzahn während des Schulunterrichts vor? Unterscheidet sich dies von Kindern gleichen Alters in einer ähnlichen Situation in Vaasa/Finnland, in Neuquen/Argentinien, in Warschau/Polen, in Sofia/Bulgarien oder in Dublin/Irland? Mittels eines von der Projektleiterin, JP Dr. Kraus, entwickelten Forschungssettings einer `Öhrchen-Installation´ ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler einer 5.Klasse ihre geheimen Ideen, Wünsche, Ängste etc. auch während des Unterrichts äußern können (1.Projektphase): Es steht jeweils ein `Öhrchen´ pro Kind zur Verfügung.
Die `Öhrchen-Installation´:
In die `Ohrmuschel´ eines kinderhandgroßen Öhrchens aus Silikon-Kautschuk ist ein MP3-Gerät samt Mikrofon eingebaut, das vom Kind an- und ausgeschaltet werden kann. Das ins `Öhrchen´ Gesprochene wird so aufgezeichnet.
Die Mitwirkung am Projekt ist freiwillig. Eine Woche lang können die SchülerInnen während der Schulstunden in `ihr Öhrchen´ das einflüstern, was sonst vielleicht kein Gehör findet. Voruntersuchungen, die im Mai 2004 an einer Grundschule in Berlin/Marzahn und im August 2004 an einer Escuela Primaria in Neuquen/Argentinien durchgeführt wurden, ergaben bereits, dass die Äußerungen der Kinder sich häufig auf körperliche Zuständlichkeiten beziehen und dass sie sich in den beiden Ländern erheblich unterscheiden.
In der 2.Projektphase stellen internationale Künstlerinnen und Künstler als `Antwort´ auf jeweils eine der Kinderäußerungen eine körperbezogene künstlerische Arbeit her. Ihren Arbeitsprozess halten sie in einem Tagebuch fest. Eine wissenschaftliche Reflexion in Hinblick auf die Momente körperlicher Aneignung der Äußerungen erfolgt als Werk- und Tagebuchanalyse.Auf der Grundlage dieser Forschungsergebnisse wird ein allgemeindidaktisches Modell entwickelt.
Dieses dient in der 3.Projektphase als Grundlage für die Thematisierung der auf bestimmte Kinderäußerungen entstandenen Künstlerarbeiten im Kunstunterricht jeweils der Klassen, aus denen diese Bekundungen stammen. Die Kunstwerke sollen die Kinder so zu Stellungnahmen zu den künstlerischen Interpretationen ihrer Äußerungen mit den Mitteln der Kunst anregen. Der Unterricht wird gefilmt.
In der 4.Projektphase analysieren diverse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das erhobene Datenmaterial (Tagebücher der KünstlerInnen, Kunstwerke, kunstnahe Kinderarbeiten, gefilmte Unterrichtssequenzen), indem sie dieses in eigene Forschungszusammenhänge integrieren. Von der Projektleiterin wissenschaftlich begleitet wird das Projekt mit dem Ziel, mithilfe der phänomenologischen Methode Klischeevorstellungen und individuelle Konzepte zur Leiblichkeit aus der Sicht der SchülerInnen zu rekonstruieren, um dann Unterschiede zwischen kindlichem Leiberleben und dem Erwachsener sowie Kulturunterschiede herauszuarbeiten. Dabei fungiert die Annahme, dass das Aufmerksamkeitsgeschehen als solches entscheidend körperlich vermittelt ist, als untersuchungsleitende These. Ausgehend von den Forschungsergebnissen werden innovative Lehrmethoden und Lehrmaterialien (CDs etc.) entwickelt, welche die Körperlichkeit als Lernmedium im Schulunterricht berücksichtigen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden an verschiedene Multiplikatoren der Schulbildung auf nationaler und auf internationaler Ebene weitergereicht. Zudem soll eine Dokumentation des entstehenden, weitgehend nonverbalen Dialogs zwischen den am Projekt beteiligten SchülerInnen und den KünstlerInnen öffentlich ausgestellt werden.
Text.
Dr. Anja Kraus,Juniorprofessorin
Institut für Erziehungswissenschaft
Abteilung Schulentwicklung- und Unterrichtsforschung
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