Adolphe Appia


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Adolphe Appia (1862-1928) war ein Schweizer Bühnenbildner, Musiker und Theoretiker. Er kann neben dem Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze und vielen anderen, die sich zusammentaten, als einer der Gründungsväter und Ideengeber des Festspielhaus Hellerau angesehen werden. Die Trans-Media-Akademie Hellerau verfolgt eine auf den ideellen Ansätzen der Gründungsväter Helleraus basierende Ausrichtung ihrer kulturellen Praxis, wenn auch mit anderen Technologien, kulturellen Praktiken und Begrifflichkeiten, in der sich neue wie alte Fragestellungen für die ideelle Gründung einer aktiven Kulturarbeit ergeben. (Dumke 2002)

Biographie

Adolphe Appia studierte in Genf, Paris, Leipzig und Dresden Musik, in Dresden und Wien Theater. 1889 bis 1890 war Appia in Dresden Lehrling bei Hugo Bähr, "dem Vater des Lichts", der für seine Beleuchtungsexperimente im deutschen Theater bekannt war. (Beacham 2006) Ab 1891 fertigte Appia Regiebücher und Skizzen an, von denen ausgehend er seine Theorien zur Bühnenpraxis formulierte. 1895 verfasste er seine erste Reformschrift "La mise en scène du drame wagnérien", der 1899 sein Hauptwerk "Die Musik und die Inscenierung" folgte, in welchem er das Zusammenspiel der Bewegung des Schauspielers, des Raumes und des Lichts forderte.

Appia gestaltete Bühnenkulissen in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz, u.a. für die bekannte Scala in Mailand und das Opernhaus in Basel. Er arbeitete mit Émile Jaques-Dalcroze an etlichen experimentellen Theater- und Tanzstücken zusammen.

Seine Reputation basiert aber größtenteils auf seinen theoretischen Schriften. Während seiner Lebenszeit erhielt er kaum Aufmerksamkeit, seine meisten Schriften wurden erst in den 1950er und 1960er Jahren veröffentlicht. Dennoch gilt er heute als Vater des modernen Bühnenlichts und der modernen Bühnengestaltung. (Womack 1987) Seine Reformen des antiquierten Bühnendesigns des 19ten Jahrhunderts hoben die Werte von Zeit und Raum hervor, die Beziehung zwischen Besuchern und Bühne sowie dem Kontrast zwischen Licht und Schatten. (ebda.)

Zur Theorie
CYNETart_07encounter »Meeting Places«
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Er war schon von jung an von Oper und Theater fasziniert, fand aber zugleich auch schon früh Kritik an deren Räumlichkeiten und Bühnenbilder. So störte ihn schon bei seiner allerersten Aufführung, dass das gemalte Bühnenbild im Hintergrund eine Dreidimensionalität suggerierte, die gebrochen wurde, sobald ein Schauspieler die Bühne betrat, weil es durch beide Räume, den wirklichen und den gemalten, perspektivische Verschiebungen gab. Und nach dem ersten Besuch einer Wagner-Inszenierung stellt er fest: "Die Bühne erscheint als ein riesiges Schlüsselloch, durch das man in indiskreter Weise Geheimnisse erfährt, die nicht für einen bestimmt sind;" (WP)

Appia fordert die Auflösung der Trennung zwischen Zuschauer und Darstellern, so wie es auch später im Festspielhaus Hellerau nur einen Raum gab, ohne Barriere. Er kritsierte zugleich die Trägheit und Passivität des Publikums gegenüber den Kunstwerken. 1909 schreibt er konsumkritisch: "Wir betrachten die Kunst wie eine Fabrikation von Luxus-Dingen, die man uns anbietet. Wir wählen wie beim Konditor das, was unsere Naschhaftigkeit anspricht und wir haben wohl viele Künstler dazu gezwungen, Konditoren zu werden." (Appia 1988, S. 70-72)

Appia forderte «rhythmische Räume», in denen die Musik die Quelle der Inszenierung sein müsse; statt Pseudowirklichkeit wollte er einen Bühnenraum kreieren, der die Wahrnehmung erweitert. (Mulisch 2006) 1909/10 entwirft er fieberhaft jeden Tag zwei oder drei für die Entfaltung der Rhythmik bestimmte Räume ("Espaces rythmiques") (Müller 1996)

"Die Handlungen, die der Musik untergeordnet sind, finden in einem bestimmten Raum statt (wie auch in einer bestimmten Zeit), und dieser Raum wiederum, stellt dem Schauspieler das Terrain und die Gegenstände zur Verfügung, die er für seine Bewegungen und seine Gesten braucht. Auf diese Weise wird - sagt Appia - die Musik, die bereits die Zeit der Aufführung kontrolliert, auch den Raum kontrollieren: durch die Vermittlung des Schauspielers wird sie gleichsam in den Raum transportiert und nimmt körperliche Gestalt an." (Beacham 2006, in WP)

Appia und Jaques-Dalcroze

1906 begegnete Appia dem Musikerzieher Émile Jaques-Dalcroze. Appia war von dessen System rhythmischer Übungen beeindruckt und sah großes Potential für das Theater. "Appia spürte [...], dass die Rhythmische Gymnastik ihm die Lösung bieten könnte für ein Problem, mit dem er sich früher befasst hatte: wie das Zeitliche systematisch in Körperlichkeit umgewandelt werden kann, die musikalische Zeit und die auf ihr beruhende Körperbewegung in den dreidimensionalen Raum übertragen werden können." (Beacham 2006, in WP) Appia erlernte selbst noch die Rhythmische Gymnastik und konnte Dalcroze überreden den flachen Bereich, in denen die Übungen stattfanden, durch Treppen und Plattformen zu erweiteren. Appia entwarf schließlich der Methode der Rhythmischen Erziehung kontrapunktische Architekturen, die "Espaces rythmiques", "Rhythmische Räume", welche mit ihren scharfen Linien und ihrer Starre einen Gegensatz zu den Feinheiten der Schauspielerkörper bildeten. Dalcroze verstand unter Rhythmischer Gymnastik, im Gegensatz zu Appia, jedoch keine "Technik oder Schauspiel" und konnte erst nach und nach von Appia von der künstlerischen Relevanz seiner Übungen überzeugt werden. (Beacham 2006, in WP)

"Nur die Musik in ihrer Unendlichkeit kann uns eine Idee der hier möglichen Suggestionen geben, wie sie dementsprechend das Licht hervorrufen kann. Das Licht wird uns - wie Appia sagt - den menschlichen Körper neu entdecken lassen, etwa ebenso, wie ein Berg an einem grauen Nachmittag sich plötzlich verändert und uns seine wahre Gestalt erst offenbart, wenn das Feuer der untergehenden Sonne hinter ihm leuchtet." (Jaques-Dalcroze 1911, S. 50.)

Festspielhaus Hellerau

Das Festspielhaus steht für das Zusammenkommen der Disziplinen zu einem großen Ganzen! (Dumke) Neben den Architekten Tessenow und Salzmann, Rhythmiklehrer Jaques-Dalcroze und Kulturmanagern Dohrn und Karl Schmidt brachte sich auch der Bühnenbauer Appia in die Konzeption und das Entstehen des Hauses mit ein.

Appia wurde von Jaques-Dalcroze als bildkünstlerischer Berater herangezogen und konnte Einfluss auf die Planung des Festspielhauses ausüben. Der Eingang mit den Säulen, gestaltet vom Architekten Tessenow sieht wie die Umsetzung der Zeichnung "Die drei Säulen" von Adolphe Appia aus. (Nitzschke 1997)

Appia entwarf 1910/11 die Ausgestaltung des großen Saales, während er bei der Umsetzung von A. Salzmann betreut wird. Appia überredete Jaques-Dalcroze zu einen Aufführungsort ohne den üblichen Guckkasten Bühne, um stattdessen einen Raum zu schaffen "in dem Zuschauerbereich und Spielfläche ineinander übergehen und nur fallweise durch einen absenkbaren Orchestergraben zu trennen sind" (Simhandl 1993). Das Aufheben der Trennung zwischen Spielfläche und Zuschauerraum war für Appia auch eine gesellschaftliche Geste. Sie brachte den Zuseher in eine neue Position, in der er nicht mehr passiver Konsument war, sondern sich aktiv am Stück beteiligte - "Theater war nicht länger eine Illusion, die man sich ansah, sondern ein reales Ereignis, das man erlebte." (alles WP)

Appia kommt nach 1911 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges, regelmäßig nach Hellerau, besonders häufig 1912. (Müller 1996) Er realisierte mit Jaques-Dalcroze bis 1914 Aufführungen im Festpielhaus. 1912 inszenierte er die Oper Orpheus und Eurydike von Christoph Willibald Gluck.

Links

A.P.P.I.A. lab zur CYNETART 2011 http://t-m-a.de/cynetart/f2011/a-p-p-i-a-lab

Quellen

  • Appia, A.: Style et solidarité, in: Oeuvres complètes, Bd. III, Lausanne 1988

  • Bablet, Misolette: Der musikalisch besetzte Gestus – Adolphe Appia und Jaques-Dalcroze in Hellerau. In: Dresdner Hefte 51 (Kopie von Bühnenkust, Juli 1991)

  • Beacham, Richard C.: Adolphe Appia: Künstler und Visionär des modernen Theaters: Licht - Bühne - Raum, Berlin 2006, Alexander Verlag Berlin, S.22f http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/87-Adolphe_Appia__-___Kuenstler_und_Visionaer_des_modernen_Theaters.html

  • "Adolphe Appia." Encyclopædia Britannica. Encyclopædia Britannica Online. Encyclopædia Britannica, 2011. Web. 29 Aug. 2011. http://www.britannica.com/EBchecked/topic/30582/Adolphe-Appia

  • Dumke, Thomas - Das Festspielhaus Hellerau als topographischer Ort von Experimentalkulturen gestern und heute. Dresden, 2002

  • Jaques-Dalcroze, Emile: Was die rhythmische Gymnastik Ihnen gibt und was sie von Ihnen fordert In: Der Rhythmus, Ein Jahrbuch, Bd.I, Bildungsanstalt Jaques-Dalcroze, Hellerau 1911, S. 32-57.

  • Michelis, Marco De: Heinrich Tessenow. 1876-1950. Das architektonische Gesamtwerk, Stuttgart 1991

  • Müller, Hans-Stefan: Festspielhaus Hellerau, 1996 (Diplomarbeit)

  • Mulisch, Kurt: Neue Zürcher Zeitung, 10. Oktober 2006

  • Nitschke, Thomas: Die pädagogische Provinz - Schulen und Schulversuche in Hellerau In: Dresdner Hefte 51, S. 65ff (1997)

  • Simhandl, Peter: Bildertheater. bildende Künstler des 20. Jahrhunderts als Theaterreformer. Gadegast 1993, S.16

  • WP: Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Adolphe_Appia

  • Womack, Michael T: Donald Oenslager collection of Adolphe Appia (1987) http://webtext.library.yale.edu/xml2html/beinecke.OENSLAG.con.html


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