Dem Körper eine Stimme geben!
Die Integration von Kunst und Wissenschaft bei der Erforschung von Leiblichkeit (körperlicher Präsenz) im schulischen Lernprozess
Die Trans-Media-Akademie Hellerau e.V. koordiniert und realisiert in Kooperation mit dem Forschungsprojekt an der PH Ludwigsburg »Konstituierende Leiblichkeit als didaktisches Prinzip«, initiiert und geleitet von Prof. jun. Dr. Anja Kraus, die interdisziplinären künstlerischen Projekte und deren internationale Präsentation. In enger Korrespondenz mit dem wissenschaftlichen Forschungsprojekt soll das intermediale Kunstprojekt »Dem Körper eine Stimme geben!« realisiert werden.
Die Integration künstlerischer Arbeits- und Wahrnehmungsweisen in wissenschaftliche Forschungen entspricht der unabweislich notwendigen Subjektposition sowohl gegenüber den Forschungs-»Objekten« als auch gegenüber den forschenden Subjekten selbst. An der »pädagogischen Wissenschaft« wird kritisiert, dass sie das Subjekt generell und die Subjektivität des Lernens (Individualisierung) aus den Augen verloren habe. Darin eingeschlossen können wir nicht nur eine andauernde »theoretische«, sondern auch eine grundsätzlichere existentielle »Auslassung« der Leiblichkeit sowohl in den »Bildungsanstalten« als auch in den »Anstalten der Wissenschaft« feststellen.
Zum zentralen Lern- und Unterrichtsprinzip gemacht kann die Konstituierende Leiblichkeit durch eine am performativen Spielbegriff orientierte Inszenierung in die Konzeption von (Kunst-) Unterricht eingehen. (Anja Kraus)
Dem Körper eine Stimme geben - Leiblichkeit in virtuellen Environments als interaktive Sprachklangräume auf der Basis des Camera-Motion-Sensing-System »EyeCon«
Künstlerische Aneignung basiert weitgehend auf sinnlicher, oft kinästhetischer leibhaftiger Wahrnehmung und verbindet diese mit gesellschaftlich-sozialen Kontexten als auch rationalen Erkenntnissen. Die Anwendung dieser ganzheitlichen Wahrnehmung auf die empirisch gewonnen Artikulationen von Schülern aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen ermöglicht deren künstlerische „Erforschung“. Dies ist eine neue Methode, subjektive Befindlichkeiten von Schülern in unterschiedlichsten künstlerischen Genres zu reflektieren und in objektivierter Form Schülern, Lehrern, Wissenschaftlern sowie einer breiten Öffentlichkeit leibhaftig wahrnehmbar zu machen. Die geplanten Kunstausstellungen sollen zudem einem breiten Publikum Zugang zu den eigenen Erfahrungen und gesellschaftlichen Dimensionen schulischen Lernens eröffnen.
Gegenstand der künstlerischen Arbeit sind kulturell unterschiedliche „sprachliche Artikulationen“ von Schülern der fünften Klasse, die sowohl als Intonationen nach ihrem emotionalen Ausdruckswert (Befindlichkeit) als auch semantisch nach unterschiedlichen Bedeutungen im Kontext des Schulalltages wahrgenommen, dekodiert und in künstlerische Werke transformiert werden. Diese Artikulationen der Schüler stehen in unterschiedlichen psychischen, sozialen, kulturellen, medialen und gesellschaftlich-sozialen Kontexten, welche sich in der Subjektivität der Stimme quasi mit formulieren.
Am Projekt sollen KünstlerInnen aus den betreffenden Ländern beteiligt werden. Diese nähern sich mit bildnerischen, performativen, medialen, musikalischen, fotografischen und filmischen Mitteln bei der „Übersetzung“ der Stimmen in künstlerische Werke.
Die künstlerische Transformation der kindlichen Artikulationen besteht in einer Art „Reinkarnation“ bzw. Übersetzung in einen neuen Bild-, Klang-, Symbol- oder wie auch immer medial gearteten Resonanzkörper.
Im Rahmen des Trans-Media-Labors der TMA sollen Artikulationen von Schülern aus den beteiligten Ländern innerhalb interaktiver Environments über körperliche Bewegung auf neue Weise versinnbildlicht und wahrnehmbargemacht werden. Die artikulierten, leibbezogenen Befindlichkeiten der Kinder werden in computer-gestützte sensible Umgebungen transformiert, zu der sich nicht nur die Schüler selbst, sondern auch Freunde, Lehrer, Eltern und Besucher von Ausstellungen wiederum leiblich präsent verhalten können.
Die artikulierte leibliche Empfindung soll in eine wiederum leibhaftig lesbare Raum-Sprache übersetzbar gemacht werden, wobei diese »Übersetzung« als ein nonlineares Körper-Spiel zu verstehen ist. Die über das Kamera-Fenster mit dem virtuellen Raum verknüpften körperlichen Aktionen entziffern und buchstabieren mit Bewegungen und Gesten z.B. Artikulationen wie »Ich habe Bauchschmerzen!«. Aussagen wie diese können virtuell in elementare morphische Bausteine granuliert werden - Geräusche, Laute, Wortfetzen, Wörter, Satzteile und Sätze - so dass im Prozess des leiblichen »Ent-Zifferns« jede Form von emotionaler Rückkopplung - Schreien, Flüstern, Stottern, Tasten, Spielen, Konstruieren usw. - zwischen dem leibhaftig gesprochen und dem virtuell transformierten Satz erzeugt werden kann.
Über die Sprachebene hinaus lassen sich Aussagen auf eine interaktive Bild-, Video, Licht- und vor allem Klangebene transformieren. Dies soll teilweise mit den Kindern gemeinsam am Computer entwickelt und im Raum praktisch sofort umgesetzt werden. Das entscheidende ist, dass jede virtuelle Gestaltung nur in Rückkopplung mit der leiblichen Erfahrung realisiert werden kann.
Die mediale Erfassung von individueller Befindlichkeit geschieht über den Einsatz von speziell präparierten und plastisch gestalteten MP3-Rekordern, sogenannte »Öhrchen«, in welche die Schüler per Knopfdruck während des Unterrichts und in den Pausen Botschaften leise artikulieren können. Diese von Prof. Dr. Anja Kraus an der PH Ludwigsburg entwickelten Aufnahmegeräte sind bereits in Schulen erfolgreich erprobt worden.
Text.
Dr. Klaus Nicolai
Leiter Trans-Media-Akademie Hellerau
Tel./Fax. 0351 3400033