Zwischen Straßentheater und Cyberspace

Neuauflage des Virtuellen Platzes der Weltkulturen als Interaktiver Pavillon
Eröffnung: 23. September 2005, 20 Uhr, im „Lustgarten Dresden“ am Altmarkt

Da schreitet mitten im sonst fast menschenleeren Einkaufszentrum des Nachts „Odysseus“ durch die markierte interaktive Zone unterhalb des Terrassencafés Börse. In der letzten Viertelstunde seiner Suche nach sich selbst bringt er die ihn durchströmenden Traumwelten in Form von computergenerierten Sprach-, Klang- und Bildspielen hervor. Innere Impulse werden zu Gesten, Gesten zu Klängen, Klänge zu Bildern, Bilder zu Sprache. Als einige hundert Zuschauer bei der Eröffnung des Ersten Virtuellen Platzes der Weltkulturen im Juli 2003 die Tanz-Theater-Performance von Georg Hobmeier (Österreich) nach einer hoch konzentrierten Aufführung bejubeln, scheint es, als sei in Dresden ein neues Straßentheater erfunden worden, ein Theater ohne Stühle, ohne Bühnenraum in einer unendlich wandelbaren virtuellen Klang-Bild-Umgebung. Ein „Theater“ für alle, die sich trauen, die gelbe Markierung des interaktiven Feldes zu überschreiten.

Das Dresdner Pilotprojekt eines weltweit vernetzbaren Virtuellen Platzes der Weltkulturen, konzipiert von Klaus Nicolai in Zusammenarbeit mit dem Softwareentwickler Frieder Weiß (Nürnberg), konnte aus technischen und finanziellen Gründen 2003 nur an fünf Wochenenden betrieben werden. Die erhoffte Unterstützung für eine weltweit einzigartige Vernetzung des Virtuellen Platzes in Dresden mit den Partnerstädten in Europa und den USA blieb vorerst aus.

Vor allem dem Engagement des City Mangement Dresden e.V., dem Stadtplanungsamt und vielen Sponsoren ist es im Rahmen des Sächsischen Wettbewerbs „Ab in die Mitte“ zu verdanken, dass die Trans-Media-Akademie Hellerau e.V. (TMA) in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk e.V. (SUFW) den Interaktiven Pavillon am kommenden Freitag gegenüber der Kreuzkirche neu eröffnen kann. Mit Unterstützung von T-Systems Multimedia Solutions Dresden, dem deutschlandweit führenden Multimediaunternehmen, verfügt der Interaktive Pavillon über eine superschnelle Internetverbindung und kann pünktlich zum Dresdner Stadtjubiläum ab Mai 2006 mit ähnlich ausgestatteten Plätzen in Salzburg oder Columbus vernetzt werden. Für die Dresdner und Ihre Gäste ist der Platz bis zum 31. November wochentags von 16.00 bis 22.00 Uhr, Samstags von 15.00  bis 23.00 Uhr und Sonntags von 15.00 bis 20.00 Uhr zum Spielen, Tanzen und Experimentieren frei gegeben. Parallel zur öffentlichen Betreibung des Interaktiven Pavillons laufen die technischen und künstlerischen Vorbereitungen zur Vernetzung der Virtuellen Plätze mit den ausgewählten Partnerstädten.

Obwohl die Computer-Euphorie der 90er im Absturz des neuen Marktes und im Aufwind von globalen Kriegs-, Hunger- und Virenepidemien eine deutliche Relativierung erfuhr, hat sich in Wirklichkeit an der Computerisierung unseres Alltags nichts geändert. Sie schreitet unspektakulär weiter voran, spannt sich in Wohnzimmern, Unternehmen, Klassen- und Spielzimmern, Kunst- und Designateliers sowie Dienstleistungs- und Forschungszentren in Kabel-, Satelliten- und Mobilfunknetzen über die Kontinente. Warum sollte es da nicht möglich sein, Orte im öffentlichen Raum zu schaffen, an denen Menschen verbunden durch sensible virtuelle Klang- und Bildumgebungen leibhaftig auch über Ländergrenzen hinweg miteinander agieren?

In den letzten fünf Jahren hat sich Dresden zu einem Zentrum für elektronische Bühnen- und Interaktionsräume im Umfeld des Medienkunstfestivals CYNETart, des Medienlabors blueLAB und der Trans-Media-Akademie Hellerau entwickelt. Zur Eröffnung des Pavillons am kommenden Freitag werden ab 20.00 Uhr Virtuelle Umgebungen des Hellerauer Trans-Media-Labors (Holger Gothart Herrmann, Hannes Gebhart, DS-X.org/Matthias Härtig, Yvonne Bahn) und des blueLAB (Hartmut Dorschner, Jörg Sonntag) den Gästen vorgestellt.

Bisher spielte sich die weltweite Computerisierung weitgehend hinter verschlossenen Türen auf mehr oder weniger komfortablem Gestühl ab. Nunmehr mutiert ausgerechnet oder sogar folgerichtig in Dresden ein computergestütztes Hochleistungssystem zu einer Art Straßentheater. Eines mit weltweit ausdehnbaren und vernetzbaren Spielflächen: Der öffentliche Raum wird zur interaktiven Bühne nicht nur für Performancekünstler und Tänzer, sondern vor allem für Spaziergänger und Tanzfreudige, für spielende Kinder, neugierige Touristen oder einfach für Kunden der umliegenden Warenhäuser.

Der Virtuelle Pavillon besteht aus einer fest installierten, global steuer- und vernetzbaren  Kamera-, Sound-, Computer- und Netzwerktechnik, die 2006 durch Videoprojektion erweitert werden kann. Die Kamera dient als Fenster zwischen den Bewegungen im physischen Raum und den virtuellen Klangarchitekturen im Cyberspace. Schon im Testlauf der weltweit ersten interaktiven Bühne im öffentlichen städtischen Raum offenbarten sich die neuen Möglichkeiten. Spielende Kinder, draufgängerische Biker und mehr oder minder bewegungs- oder tanzbegabte Besucher haben den sensiblen Raum rasch in Besitz genommen. Da verwandelten sich Raddurchfahrten in wilde Geräuschcollagen, Körperdrehungen in Gesänge und Tastgebärden in raumgreifende Klangflächen.

Bleibt die spannende Frage, was nicht nur die Künstler, sondern die Dresdner und ihre Gäste aus diesem Platz machen werden. Der Veranstalter, die Trans-Media-Akademie Hellerau, hat diesbezüglich schon ziemlich konkrete Visionen. Die Kids werden zuerst den ungewöhnlichen Spielplatz in Besitz nehmen. Am späteren Abend werden dann auch schon mal Breakdancer, Informatikfreaks und visionäre Sound-Achitekten erwartet.  Auch taugt der Platz für künstlerische und außerkünstlerische Artikulationen: Warum nicht eine  interaktive Ansprache von Bürgermeistern und Abgeordneten der Partnerstädte? „Wie macht ihr das mit dem fehlenden Geld, den Brücken über die Flüsse und den alten und neuen Theatern?“ Vera Kockot, Vorsitzende der Trans-Media-Akademie und Mitarbeiterin an der Hochschule für Gestaltung in Zürich, hebt den Laborcharakter des interaktiven Platzes hervor. „Hier kann über Jahre auch an Klang- und Bildräumen experimentiert werden, die blinden oder tauben Menschen neue Erfahrungen und Orientierungsmöglichkeiten eröffnen.“

Klaus Nicolai, der Erfinder der „Virtuellen Plätze der Weltkultur“, sieht in dem Projekt ein Experimentierfeld, das Schüler und Lehrer, Studenten und Wissenschaftler sowie Künstler und Forscher gleichermaßen interessiert. „Es hat wohl bisher kaum einen solch offenen Möglichkeitsraum gegeben, der Spiel, soziale Interaktion, Kunst, Wissenschaft, Technik, Architektur, städtische Öffentlichkeit und persönlichen Alltag auf eine solch schlichte, direkte Weise miteinander zu verknüpfen vermag. Und dies nicht eingezwängt in Datenanzüge oder fixiert auf Bildschirme, sondern aktiv an frischer Luft!“ Der künstlerisch-technische Leiter des Projektes und Erfinder der Basissoftware EyeCon, Frieder Weiß, sieht in diesen unkonventionellen Verknüpfungen „eine gewaltige gestalterische, technische wie auch ethische Herausforderung.“

Weitere Informationen + Pressebilder bei:

Trans-Media-Akademie Hellerau e.V.
Festspielhaus HellerauKarl-Liebknecht-Str. 56
D-01109 Dresden, GERMANY

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Pressemitteilung als Download (pdf): 21.09. 2005: Eröffnung des Interaktiven Pavillons



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