Sensitive to Frustration
Sonia Cillaris CYNETART Installationsperformance „Sensitive to Pleasure“ will nicht so recht aufgehen. Im Videopodcast spricht die Künstlerin ihre Frustration über die nicht eben interaktiv agierenden Besucher ihres Settings aus. Ein Interpretationsversuch, beim gemeinsamen Abendessen mit Johanna Roggan an unserem Redaktionstisch:
In „Sensitive to Pleasure“ geht es um Konflikte – ein feinfühliges Stück, in dem die Künstlerin Sonia Cillari die kontroverse Beziehung zu ihrer eigenen Arbeit öffentlich thematisiert.
Cillari steht außerhalb eines dunklen ambisonischen Kubus. Durch eine Tür gewährt sie jeweils nur einem Besucher Einlass in den Raum. In dem Kubus befindet sich ihr Werk, eine nackte Frau (die Tänzerin Johanna Roggan), deren Körper einen Klang offenbart, sobald sie mit anderen Menschen in Kontakt tritt. Das körperliche Wechselspiel zwischen diesem Wesen und dem Besucher ist durch elektrische Impulse mit dem Körper der Künstlerin verbunden. Diese lösen in ihr eine heftige körperliche Reaktion aus, die zwar schmerzhaft, jedoch möglicherweise zugleich auch angenehm ist. Cillari nutzt den Besucher, um ihre eigene Arbeit körperlich erfahren zu können.
Cillari untersucht, wie die Besucher mit der nackten Tänzerin interagieren, während sie wissen, dass ihr Handeln eine starke körperliche Wirkung bei der Künstlerin außerhalb des Kubus hinterlässt. Zugleich erkundet Cillari die voyeuristische Position des Publikums, wenn sie sich dabei beobachten lässt, wie sie ihr Kunstwerk am eigenen Leib erfährt.
Man spürt schon bei dieser Projektbeschreibung: „Sensitive to Pleasure“ ist eine stark konfrontative, irgendwie mulmig machende Arbeit, die alle möglichen Schwellenängste aufzeigt:
Sonia Cillari hat diese Versuchsanordnung mit Absicht gewählt: Sie stellt eine schöne Tänzerin in den Raum, um (mit einer gehörigen Portion Neugier und Provokation) zu schauen, wie die (vor allem männlichen Besucher) damit umgehen. Die psycho-soziale Untersuchung ist wesentlicher Bestandteil, wohlmöglich Ausgangspunkt der Installationsperformance. Dazu gehört wesentlich, dass Sonia Cillari sich direkt ihrer eigenen Arbeit stellt; sie bekommt, als Konzeptionerin der Installation, ein direktes Feedback des Publikums.
Und wird enttäuscht, weil die Interaktion überwiegend nicht funktioniert; weil die Besucher ihre Arbeite nicht voll nutzen, nicht in ihrer erforderlichen Funktionsweise erfassen: Die einzeln den abgeschlossenen Raum betretenden Besucher scheuen weitestgehend davor zurück, die nackt in der Mitte des abgedunkelten chambre séparée stehende (und irgendwie wartende) Tänzerin zu berühren.
Der von Sonia Cillari und der Tänzerin Johanna Roggan erwartete Spieltrieb der Besucher stellt sich in den meisten Fällen nicht ein. Man könnte argumentieren: Er steht hinter der Schamgrenze zurück. Die Verlegenheit ist größer als die Neugierde. Johanna Roggan meint: Kinder würden sicherlich sofort auf sie zugehen um zu schauen, wie ihre Berührungen an die verkabelte Sonia im Nebenraum weitergegeben werden; Erwachsene: zu stark kulturell vorgeprägt; sie genieren sich (hochinteressant auch die unterschiedlichen Formen der Scham, wenn es Fremde sind oder Menschen die Johanna kennt).
Letztlich ein Communication Breakdown: Über die Installation findet eine kommunikative Verschlüsselung statt, der sich beide Akteure, Besucher und Tänzerin, bewusst sein müssen: Johanna steht dort als Interface. Sie wird in dieser gewählten Funktion nie auf die Idee kommen, die zugegeben intime Interaktion privat zu deuten, auf sich als Privatperson zu beziehen. Andererseits: Es bleibt eine intime Situation. Der Raum ist warm und dunkel, die Töne gedämpft, sie ist nun mal nackt, Interface hin oder her.
Der oft unvermittelt in den Raum geratene Besucher, der sich den Beipackzettel nicht auf seine volle Brisanz hin durchgelesen hat, findet sich unvermittelt in einer Situation, die ihn emotional und analytisch überfordert. Man möchte sich erstmal eine Weile lang hinsetzen, sich sammeln, eine Haltung zu dem intimen Setting einnehmen. Aber: kein Stuhl weit und breit. Nur eine junge, nackte Tänzerin, verkabelt mit einer im Nebenraum befindlichen italienischen Künstlerin, die – wenn man den Titel der Installation ernst nimmt – offenbar „Pleasure“ daran findet, mit anregenden, aber eben auch schmerzhaften Stromschlägen animiert, wenn nicht malträtiert zu werden. Anlass genug für eine gehörige Portion Gehirnfasching.
Die kommunikative Akzeptanz stellt sich nicht ein. Der überwiegende Teil der Besucher schafft es nicht, die recht analytische Haltung einzunehmen: Das Mädchen dort weiss, was es tut. Es ist ihr Job. Sie hat sich wochenlang darauf vorbereitet. Sie wartet darauf, dass ich sie abtaste, sonst geht die Installationsabsicht verloren. Sie wird es nicht auf sich beziehen. Sie wird es auch nicht auf mich beziehen: Ich bin in diesem Moment auch bloss ein Impulsgeber, um nichts anderes geht es hier, außer vielleicht noch darum, dass ich mir in diesem Moment genau diese Gedanken mache. Also lass dich nicht ins Bockshorn jagen, wir leben nicht mehr in den verkrampften 60ern.
Dieses mentale Herunterkühlen will in den wenigsten Fällen gelingen. Statt Souveränität und Coolness: Scham, Scheu, passiv auf Sicherheit setzen und also erstmal auf Abstand bleiben. Hinter mir stehen andere Schlange, sollen die mehr mit dem Mädchen machen, ich habe mir das Setting angeschaut, sehr interessante Versuchsanordnung, aber jetzt ist auch gut, ich gehe lieber nach nebenan und mosche. Oder gleich nach unten an die Bar um mit meinen Begleitern bei einem Getränk über die Verwegenheit von Sonia Cillari und Johanna Roggan zu sprechen (und – aber das allerhöchsten in einem lässig eingestreuten Nebensatz – über die Verlegenheit, in der ich mich befand, als ich den beiden gegenüberstand).
Abschließende lose Stichworte zum Weiterdenken:
>>> Marina Abramović’s Installationsperformance „Entering the Other Side“, in der der Museumsbesucher gezwungen ist, sich durch einen schmalen Spalt zwischen einem sich gegenüberstehenden nackten Paar hindurchzuzwängen. Und ihre 721 Stunden Performance „The Artist is Present“ im MoMA. Während der Öffnungszeiten der Ausstellung saß Marina Abramović im Atrium des Museums an einem Tisch und schwieg, ihr gegenüber ein Stuhl, auf dem Besucher Platz nahmen. Nach 721 Stunden endete die Performance, nachdem 1565 Besucher ihr gegenüber gesessen hatten.
>>> Das pornografisch begründete Machtspiel zwischen den Gästen eines gehobenen Sushi-Restaurants, in dem die Sashimi auf einer nackten, auf dem Tisch liegenden Studentin angerichtet sind.
Update, Samstag 13.11.2010 22 Uhr, einige Stunden und eine Performanceeinheit nach der Redaktion des Artikels:
Am dritten Abend wurde auf den Aushang eines Beipackzettels verzichtet, auf dem um „angemessenes Verhalten“ gebeten wurde; prompt stieg der Grad der Interaktion um ein Beträchtliches an. Sonia Cillari brach die Performance nach anderthalb Stunden (eine halbe Stunde vor dem offiziellen Ende) erschöpft ab, zeigte sich aber dennoch (oder gerade aus diesem Grund) hochzufrieden (dazu mag auch beigetragen haben, dass die Intensität der Stromstöße erhöht worden war).
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