Der schlaflose Cyborg

Text: Ulrike Gerhardt & Susanne Husse

Der Schauspieler Wieland Schönfelder und der bildende Künstler Paul Wiersbinski haben für ihre Performance »One Man Unit« (2012) einen Hybrid aus Mensch und Roboter erschaffen. Gerufen vom Kunst- und Kulturbetrieb taucht diese Figur, die sowohl ein Mensch im Roboterkostüm als auch ein Android, ein humanoider Roboter sein könnte, seit Beginn des Jahres immer nachts in den Straßen und auf den Plätzen internationaler Metropolen auf. 1 Die technische Ausrüstung von Schönfelders und Wiersbinskis Charakter besteht aus zwei mobilen Videoprojektoren, drei CCTV Kameras, zwei CCTV Monitoren, zwanzig LED Lampen und 12 Leuchtkabeln El-Wire. Über die künstlichen Verlängerungen ihrer/seiner Arme projiziert sie/er assoziative, der visuellen Flut des Internets entliehene Bilder in die architektonische Umgebung, während sie/er mit blecherner Stimme über die aktuelle weltpolitische Lage, die Natur der Realität und die eigene Biographie als DDR Erzeugnis philosophiert. Obwohl die Stimme der Figur eindeutig als männlich identifizierbar ist, bleibt das Geschlecht bis zum Ende der Performance undefiniert: »I am a machine which dreamt to be a man and loved it, but now the dream is over and the robot is finally awake.« [Ich bin eine Maschine, die geträumt hat, dass sie ein Mann sei und dies sehr genossen hat; doch nun ist der Traum vorüber und der Roboter ist aufgewacht.«] Demnach konstruieren die zwei Künstler in ihrer Performance eine träumende Mensch-Maschine, einen »cybernetic organism«, kurz: Cyborg. Ein Cyborg ist das einzige Wesen, das sowohl technologisch-organische »Objekte« als auch in der postmodernen Welt lebende Menschen bezeichnet. Die oder der Cyborg von Schönfelder und Wiersbinski stapft klobig durch den öffentlichen Raum Dresdens, die Applikationen an ihrem/seinen weißen Anzug blinken wie die Neonwerbung am Londoner Trafalgar Square. Die verzerrte Stimme stottert und springt, als wäre ihre/seine Programmierung fehlerhaft vollzogen worden. Die/der Cyborg hastet zwischen zahlreichen Diskursebenen hin und her: von poststrukturalistischer Philosophie, über die Sensibilität künstlicher Intelligenz, hin zu neoliberalen Subjektivierungskonzepten und dem globalen Wettkampf um Ressourcen. »Would you pay me in oil or in attention?« [»Würden Sie mich mit Öl oder mit Aufmerksamkeit bezahlen? «] ist die zentrale Frage ihrer/seiner Existenz und drückt aus, dass sie/er als Kulturprodukt eher an Zuwendung als an materieller Vergütung interessiert ist 2.

Die Reflexionen über ihre/seine bisher ausgebliebene Selbstprogrammierung und der Wunsch nach Naturerfahrungen stechen aus dem mediumistischen Erzählfluss heraus. Die/der Cyborg deliriert, Text und Bild laufen im Zufallsprogramm und die Verbindungen sind unterbrochen. Immer wieder wiederholt sie/er die Satzanfänge, so, als hätte sie/er sich im Schacht von Babel verirrt. Es scheint als wolle die Performance »One Man Unit« Donna Haraways Traum einer »mächtigen, ungläubigen Vielzüngigkeit« aus ihrem »Cyborg Manifesto« verkörpern 3, einer Mehrsprachigkeit jenseits von Dualismen. Doch warum sehnt sich Wiersbinskis und Schönfelders Cyborg ausgerechnet danach, eine Einheit und noch dazu ein Mann zu sein? Die Erklärung für diesen irritierenden Wunschtraum gibt die/der Cyborg selbst, indem sie/er berichtet, es sei ein Geist in der Maschine vorhanden. Es ist davon auszugehen, dass eine Vorliebe dieses Spukgeistes die Kategorie des Sexus ist, die trotz des 21. Jahrhunderts immer noch unsere intersubjektiven Beziehungen und Lustempfindungen reguliert. Ihr/Sein Streben nach Einheit könnte zu avancierten Techniken kultureller Übersetzung wie Performativität, Subvertierung und Grenzüberschreitung kaum stärker in Kontrast stehen. Die/der Cyborg aus »One Man Unit« repräsentiert demnach keine emanzipatorische Heilsfigur, kein Medium polymorpher Transgender(wo)men, sondern eine nachtaktive Mensch-Maschine geboren aus den Matrizen unserer Gesellschaft.

Ulrike Gerhardt & Susanne Husse
Kuratorinnen des Projektraums NOTE ON in Berlin (gemeinsam mit Friederike Hamann)

Performance »One Man Unit« am 16. November um 23.30 Uhr auf der Louisenstraße



Performance »One Man Unit« am 16. November um 23.30 Uhr auf der Louisenstraße





1 In Berlin im Kunstraum NOTE ON, im atelierfrankfurt in Frankfurt am Main, in Aberdeen und fĂŒr CYNETART Festvial in Dresden.

2 Georg Franck »The Economy of Attention«, 1999, www.heise.de/tp/artikel/5/5567/1.html

3 Donna Haraway, »A Cyborg Manifesto - Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century,« in Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature (New York; Routledge, 1991), pp. 149–181, http://www.egs.edu/faculty/donna-haraway/articles/donna-haraway-a-cyborg-manifesto/





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